Schweiz profitiert von EU-Zuwanderung

Dienstag, 04. Juli 2023
Nach 20 Jahren Personenfreizügigkeit habe die Schweiz von der Zuwanderung profitiert. Die Einwanderung habe die demografische Alterung gedämpft und das Potenzial des Arbeitsmarkts erweitert. Die Zugewanderten hätten kein höheres Sozialhilferisiko.

Zu diesem Schluss kommt das Observatorium zum Freizügigkeitsabkommen mit der EU von Bund und Sozialpartnern in einem vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) veröffentlichten Bericht. Die Bevölkerung wuchs demnach seit 2002 jährlich um 0.9% und damit stärker als in anderen europäischen Ländern. Da die meisten Eingewanderten im Erwerbsalter sind, wirkte das der demografischen Alterung der einheimischen Bevölkerung entgegen. Ein Ländervergleich in Europa zeigt, dass sich in anderen Staaten die Alterung stärker bemerkbar machte.

Höhere Berufsqualifikationen

Am Arbeitsmarkt unterstützte die Zuwanderung den strukturellen Wandel hin zu einer Wirtschaft mit mehr hochqualifizierten Stellen und höherer Wertschöpfung. Dabei half die Zuwanderung beim Decken der Arbeitskräftenachfrage. Weil auch die einheimische Bevölkerung besser ausgebildet ist und Berufe mit anspruchsvolleren Qualifikationen als vor 20 Jahren ausübt, half die Zuwanderung gleichzeitig, den Ersatzbedarf in Tätigkeiten mit mittleren oder tieferen Anforderungen zu decken.

Wohlstand gestiegen

Diese Entwicklungen vollzogen sich bei wachsender Beschäftigung, hoher Erwerbstätigkeit und tiefer Arbeitslosigkeit. Die letzten 20 Jahre zeigten insgesamt ein solides Wachstum des realen Bruttosozialprodukts. Zurückzuführen war dies gemäss Bericht zu etwa gleichen Teilen auf eine gesteigerte Produktivität und einen grösseren Arbeitseinsatz. Damit stieg der durchschnittliche Wohlstand pro Kopf auf hohem Niveau weiter. «Das sind Symptome einer starken Wirtschaft», sagte die Staatssekretärin für Wirtschaft, Helene Budliger Artieda. Die Personenfreizügigkeit sei nicht der einzige Grund dafür, räumte sie ein, aber ein wichtiger Faktor.

Mehr Konkurrenz um Arbeitskräfte

Gemäss den Szenarien des Bundesamts für Statistik (BFS) wird das künftige Wachstum der Bevölkerung im Erwerbsalter stärker als bisher von der Zuwanderung abhängen. Durch die bevorstehenden Pensionierungen der geburtenstarken Jahrgänge öffnet sich die demografische Lücke im Arbeitsmarkt weiter. Dies stellt eine Herausforderung für die Schweiz dar, denn sie teilt die demografische Entwicklung mit den EU- und Efta-Ländern. Damit wird der Wettbewerb um Fachkräfte härter, und es dürfte künftig schwerer fallen, den Bedarf in der Schweiz zu decken, schreibt das Observatorium.

Tiefe Sozialhilfequote

Die durch die Personenfreizügigkeit Eingewanderten waren einem überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeitsrisiko ausgesetzt, wie es im Bericht weiter heisst. Besonders Personen aus Süd- und Osteuropa hatten demnach häufig instabile, auch saisonale Beschäftigungen. Das schlug sich in einem erhöhten Bezug von Taggeldern der Arbeitslosenversicherung nieder. Das Risiko für einen Taggeldbezug stieg mit zunehmender Aufenthaltsdauer. Im Zeitvergleich gab es indessen keine Anzeichen für ein höheres Arbeitslosenrisiko der Freizügigkeitszuwanderer verglichen mit den übrigen Bevölkerungsgruppen.

Der Bezug von Sozialhilfe durch Freizügigkeitszuwanderer lag auf sehr tiefem Niveau, tiefer sogar als der von Schweizerinnen und Schweizern. Es handle sich also um eine Arbeitsmigration, nicht um eine Sozialhilfemigration, sagte Budliger Artieda.

Offene Fragen des Lohnschutzes

Dennoch sei die Personenfreizügigkeit nicht ohne Risiko für die Arbeitnehmenden, sagte Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Sie fördere tendenziell prekäre Arbeitsformen wie Arbeit auf Abruf. Bei entsandten Arbeitnehmenden, insbesondere in Grenzregionen, gebe es trotz Kontrollen ein sehr hohes Potenzial für Lohndumping. Der Bund wird diese Fragen mit den Gewerkschaften weiterverfolgen. Im Rahmen der Vorbereitungen für ein mögliches Verhandlungsmandat mit der EU müssen Lösungen für die heikle Frage des Lohnschutzes her. Die Ergebnisse sollen dem Bundesrat im Oktober vorgelegt werden. (sda)

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