Jugend habe ein Recht, nicht verstanden zu werden und eine eigene Geschichte zu entwickeln. Junge Menschen werden von anderen epochenspezifischen Einflüssen geprägt als die Vorgängergeneration. Aber «Die Jugend» sei eigentlich nur eine Vorstellung der Erwachsenen, legte Guggenbühl dar. Diese werde von eigenen Vorstellungen gespeist, was häufig zu Missverständnissen führe. Am Ende komme es immer auf den individuellen Menschen an. Aber als Generation grenzen sich Jüngere von Älteren ab und wollen auch keine Erwachsenen – das sind bereits Menschen ab 20 -, die sich ihnen anbiedern und ständig Verständnis zeigten. Das sei für Erwachsene nicht immer angenehm, aber zu respektieren. Es sei das gute Recht der Jugend, so Guggenbühl.
Gerontokratie
«Wir leben in einer Gerontokratie», stellte Guggenbühl fest: Ein Vierzehnjähriger habe alle Emotionen, Gedanken und Fähigkeiten, die auch Ältere haben. Der Anteil der jungen Menschen unter 20 Jahren ist aber sehr klein mit einem gesamtgesellschaftlichen Anteil von unter 19%. Dies sei in anderen Gesellschaften wie beispielsweise in Südamerika häufig anders und beeinflusse hierzulande auch die Kultur, die sehr stark von Werten der Älteren geprägt werde, den Geronten. Ältere haben oft andere Prioritäten im Leben. Diese richten sich vor allem an zwei Themen aus: Zum einen an der Gesundheit, die im Alter immer wichtiger wird. Das ist für Jugendliche nicht so. Das Leben dauert aus ihrer Perspektive ewig. Es dominiert ein anderes Daseinsgefühl. Sie fühlen sich unverletzlich.
Zum anderen sei Sicherheit für Ältere ebenfalls wichtiger. Bei Jüngeren gebe es eher eine Art Abenteuer- oder gar Angstlust. Junge wollen etwas erleben. Aber sie werden in einen «Warteraum» geschickt.
Infantilisierung statt Erwachsenenrolle
Damit meinte Guggenbühl die Zeit der Bildung und Ausbildung. Bildung heisse immer auch Unterwerfung, was eigene Studien bestätigt haben. Das sei für einen Erwachsenen nicht immer einfach. Die Gefahr bestehe in so einer Situation darin, dass man infantilisiert werde. Man benehme sich dann auch fast kindisch. Es sei wichtig, schloss Guggenbühl daher, dass man Jugendlichen eine Aufgabe gebe und sie auch ermächtige. Und natürlich müsse man sie in die Erwachsenenwelt auch einführen.
Ausserfamiliäre Bezugspersonen
Heute gebe es zwar keine klaren Einführungsrituale, aber trotzdem viele Möglichkeiten für eine Einführung. Ein Problem könne daraus entstehen, dass Menschen sich angesichts zu vieler Optionen überfordert fühlten. Was passiert dann? Man vertagt die Entscheidung und holt sich Rat von anderen. So entstehen zufällig beeinflusste Entscheidungen, die über das soziale Umfeld induziert werden. Deshalb, so folgerte Guggenbühl, seien Coaches und Berater wichtig, die junge Menschen bei der Berufswahl unterstützen können.
Am wichtigsten sei eine ausserfamiliäre Bezugsperson, mit der sich ein Jugendlicher identifizieren kann, die geschätzt wird, die bewundert wird, die Vertrauen vermittelt. Diese Person müsse eine emotionale Beziehung zulassen können und sie sollte erwachsen sein, um das Berufsbild adäquat repräsentieren und Grenzen aufzeigen zu können. Aus diesem Grunde sind zu kumpelhafte Berufsbildner, die zu viel Nähe zu den Lernenden zulassen, nicht sehr hilfreich. Fehle die Distanz, dann fehle häufig auch die Orientierung. Junge Menschen wollen ernst genommen werden, deshalb seien die Fähigkeiten zuzuhören und respektvolles Feedback geben zu können, wichtige Führungsqualitäten.
Eine Lehrmeisterin müsse authentisch sein; sie muss nicht immer geliebt werden. Aber er oder sie sollte Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen. Lob tut gut, wobei ein kurzes, fast nebenbei hingeworfenes Lob effektiver sei, als vertiefende Gespräche, die Jugendlichen auch unangenehm sein könnten.