Kolumne: Hört auf, das mittlere Management zu bashen

Mittwoch, 25. September 2024 - Matthias Mölleney
«Wir brauchen dringend eine Wertschätzungsinitiative für das mittlere Management.»

Wer kennt sie nicht, die alten Geschichten von der Lähmschicht in den Unternehmen? Es vergeht keine Kostensparübung, ohne die Bremser und Verweigerer in den mittleren Etagen ganz besonders ins Visier zu nehmen. Weiter akzentuiert hat sich die Kritik, als alle von Agilität und dem Abbau von Hierarchien gesprochen haben. Diese Phase ist inzwischen beendet oder macht zumindest eine längere Pause, denn die Zeiten sind wieder unsicherer geworden und durch Rezessionsängste getrübt. Vielen Geschäftsleitungen steht deswegen der Sinn aktuell nicht mehr nach partizipativen Experimenten, sondern sie erwarten, dass alle die Ärmel hochkrempeln und sich mehr um die Produktivität bemühen.

Noch ein bisschen unklar ist, was das mittlere Management, das bis vor kurzem noch dem gewünschten Hierarchieabbau im Weg stand, jetzt tun soll. Erstens sollen diese Führungs-kräfte mithelfen, die Produktivität zu steigern, zweitens sollen sie Orientierung geben in der allgemeinen Verunsicherung, und drittens sollen sie die Digitalisierung fördern. Und das alles unter einem enormen Kostendruck.

Man kann versuchen, das alles von den mittleren Führungskräften zu verlangen, aber sie werden das nicht leisten wollen und auch nicht können, wenn weiterhin das Lied von der Lähmschicht gesungen wird. Wir brauchen dringend eine Wertschätzungsinitiative für das mittlere Management, und damit meine ich nicht ein Verteilen von Lob, sondern eine Schätzung des Werts dieser Führungskräfte.

Das bedeutet aber nicht, wieder zu den alten, transaktionalen Führungsansätzen mit Anweisungen und Kontrollen zurückzukehren. Durch mehr Kontrolle und eine stärkere Machtausübung ist noch kein Unternehmen nachhaltig wettbewerbsfähiger geworden. Wir brauchen eine neue Rollendefinition für die Führungskräfte im Spannungsfeld zwischen den strategischen Zielen und dem Anspruch der Mitarbeitenden auf Orientierung in der allgemeinen Verunsicherung.

Eine allgemeine Verunsicherung, wie wir sie an vielen Stellen gerade erleben, führt meistens zu einer kollektiven Erschöpfung, und auch dafür gibt es bereits deutliche Anzeichen. Bevor die Erschöpfung noch grösser wird, brauchen wir eine Führungsmannschaft, die sich nicht anstecken lässt von der Tendenz zur Erschöpfung, sondern die eine starke, neue Leaderrolle übernimmt, in der sie nicht, wie früher, von vorne führt, sondern von hinten. Es geht um eine Leadership, in der Exzellenz und Demut kein Widerspruch sind und in der die Leistungsansprüche an sich selbst immer mindestens so hoch sind wie jene an die anderen.

Um das zu erreichen, müssen wir den Wert einer solchen Führung begreifen und vor allem die Beförderungsregeln anpassen. Solange wir zwar von Sozialkompetenz reden, bei Beförderungen aber immer noch diejenigen mit der grössten Fachexpertise bevorzugen, werden wir den Aufbruch nicht schaffen. Wir brauchen Führungskräfte, die den verunsicherten Mitarbeitenden vor dem Aufbruch zur schweren Bergwanderung das Gefühl vermitteln können, wie es ist, wenn man oben auf dem Gipfel steht und sich die Mühe des Aufstiegs gelohnt hat. Solange sie nur Leistungsziele definieren, messen und kontrollieren können, werden sie mit ihren Mitarbeitenden das Gipfelkreuz kaum erreichen, und schon gar nicht immer wieder aufs Neue.

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